Vorbetrachtungen
Im Jahr 2020 sind wir ja gescheitert. Eigentlich war alles in Säcken und Tüten: ein großes Ferienhaus im Sommer, direkt an einem schönen Donegalesischen Strand, dazu Flug und Mietwagen. Dann kam eine Pandemie, und wir haben alles storniert. Wir waren dann anderswo und 2021 noch weiter.
In Berlin steht Urlaub ja für „Nachts um zwei in Wohngebieten herumlabern und mittellauten Winselpop aus Bluetoothquäken hören.“ Wir wollen das anders machen, deshalb beginnt die bewährte Gruppe aus Irlandfans im Frühjahr mit den nötigen Rescherschen und Buchungen. Flüge nach Kerry gibt es von Berlin aus nicht. Mietwagen sind aus fadenscheinigen Gründen superteuer. Viele Häuser sind schon ausgebucht, auch dasjenige, das wir vor drei Jahren gebucht hatten und gerne wieder gemietet hätten. Mit Glück und griffbereiter Spontaneität finden wir eines in der Nähe von Gortahork im County Donegal. Und ein paar Wochen später beschließt der Teil der Gruppe, der den Schriftführer enthält, dort zwei Tage eher abzureisen und sie und die übrigen Tage in der Creativity Cabin auf Beara zu verbringen. Das wird allerdings eine längere Fahrt.
Das Nachdenken über das Durchqueren oder Besuchen von Nordirland spült Erinnerungen an länger zurückliegende Nachrichten wieder nach oben. Wir lesen im Internet und stellen fest, dass die englische Post-Brexit-„Politik“, die man als bananenrepublikanischen Breitband-Brit-Bock-Buddelkasten bezeichnen muss (aber nur, wenn man höflich sein will), dazu geführt hat, dass wir für Nordirland einen Pass brauchen, den wir alle nicht haben, und den wir uns in der restlichen Zeit weder besorgen können noch wollen. Die Freunde in Irland sagen, dass wir einfach durchfahren sollen, weil dort eh nicht kontrolliert wird. Sie machen das ja auch. Aber für sie gilt die Regel nicht, und wir sind nicht so.
Vielleicht ist es ganz gut, dass die Reise erst gegen Ende der Ferien stattfindet. In den ersten Wochen des Sommers häufen sich resthaarsträubende Berichte von Flughäfen in Deutschland und Irland (und vielen anderen) über herrenlose Gepäckberge, Verspätungen und Streichungen. Als Grund wird häufig angegeben, dass Mitarbeiter in der Anfangszeit der Pandemie entlassen worden seien, und dass die erneut fällige Sicherheitsüberprüfung bei der Einstellung so aufwändig wäre. Sie könnten ja inzwischen alle Islamisten sein. Zeitweise prüfen wir, wie man mit dem Auto nach Irland kommen würde. Das wollen wir nicht. Wir buchen vorsichtig Flüge.
Eine der Streichungen betrifft unseren Rückflug. Den können wir auf einen anderen Flug am selben Tag umbuchen. Sogar doppelt, weil auch Online-Buchungssysteme manchmal das eine sagen („Es ist ein Fehler aufgetreten“) und das andere tun („Die Kohle nehme ich trotzdem!“). Nach einigen Tagen bemerken wir, dass wir den Flug nun zweimal gebucht und bezahlt haben. Das Online-Buchungssystem hat sich über die Doppelbuchung von derselben IP-Adresse, mit denselben Personen und für den selben Flug nicht gewundert. Schlechte Software regiert eben die Welt. Ein längeres Telefonat mit Aer Lingus löst das Problem. Der eigentliche Sachverhalt ist nach kurzer Erklärung und zu unserer Überraschung völlig unstrittig, nur der digitale Papierkram ist kompliziert.
Die Vorfreude steigt ins Unvergessliche.
Ein Novum an diesem Tagebuch ist, dass es auch etwas auf die Ohren gibt. An einigen Abenden haben Teile der Reisegruppe (Max Stein und eine Hälfte von d-fens) Hausmusik gemacht, aber deutlich näher an der wörtlichen Übersetzung als an landestypischen Klängen. Die Aufnahmen sind nahezu unbearbeitete Live-Mitschnitte. Also, wenn ihr wollt, dann Ohren auf für The Irlandfans mit ihren Improvisationen für Groovebox und unsynchronisierte Android/iOS-basierte Tablets.
- Intro The Irlandfans 0:49
- Intro 2 The Irlandfans 1:06
- Improvisation 31.7.2022 The Irlandfans 17:33
- Improvisation 1.8.2022 The Irlandfans 13:14
- Improvisation 3.8.2022 The Irlandfans 6:17
- Improvisation 4.8.2022 The Irlandfans 22:17
- Improvisation 6.8.2022 The Irlandfans 17:34
- Improvisation 10.8.2022 The Irlandfans 5:13
Das Anhören der Musik ist zum weiteren Verständnis der Handlung aber nicht erforderlich.
Back In Ireland
Samstag, 30.7.2022
Die Fluggesellschaft möchte, dass wir sehr zeitig aufstehen, gewürzt mit den schon erwähnten Berichten über Flughafen-Chaos allüberall. Für uns ist es außerdem der erste Flug vom nicht-ganz-so-neuen Flughafenversuch im Südosten von Berlin.
Die Taxifahrt klappt reibungslos, auch wenn wir natürlich einen ganz anderen Weg genommen hätten. Der Taxifahrer weiß außerdem genau, wie er sich im Straßen-Spaghetti des Flughafens zurechtfindet. Und er weiß, dass wir nach dem Aussteigen mit dem Gepäck eine große Treppe hinuntermüssen, weil jemand vergessen hat, einen Fahrstuhl oder eine Rolltreppe zu bauen. Unten mangelt es vollständig an Chaos und Schlangen. Auf den Online-Checkin folgt der Self-Checkin. Ich glaube, dass vieles davon redundant ist und nur aus Gründen der geistigen Rückwartskompatibilität (anderes Wort für alte Bio-Software) noch existiert. Das funktioniert auch ganz gut, besonders wenn man beim Prozess der Auseinandersetzung mit der Software keinen Zeitdruck hat.
„Warte mal. Nein… das war doch eben… nochmal zurück… nein, nicht da… Huch. Versuch es mit der anderen Tasche.“ Solches Verhalten ist antrainiert, als ob eine andere Tasche ein anderes Verhalten der Software hervorruft.
Die eigentliche, wirkliche, physische Gepäck-Abgabe hat ebenfalls ein Digitalproblem (also Software…), das eine freundliche Dame per Knopfbruck überdrücken kann. Wir haben jetzt ziemlich viel Zeit, und es ist auch ausreichend Platz zum Warten. Der Buchladen macht erst später auf, hat aber im 50cm breiten Regal der englischen Bücher ärgerlicherweise ohnehin nicht das partikularinteressante Buch, das ich seit Monaten suche.
Der andere Teil der Irlandfans hat einen anderen Flug gebucht, der quasi zeitgleich stattfindet, aber wir werden uns erst in Irland treffen. Während wir zur Startbahn gerollt werden, sehen wir das andere Flugzeug auch gerade ablegen. Vielleicht wird das ja ein Rennen.
Auf dem Flug selbst passiert nichts Erwähnenswertes, das wollte ich erwähnen. Nach der Landung erhalten wir eine Textnachricht: „Wir sind gelandet!“ Antwort: „Ja, haben wir gesehen.“
Da wir davon ausgehen, dass wir vom Terminal 1 aus wieder in einen Kleinbus gestopft und zur Mietwagen-Ausgabe gekarrt werden, beschließen wir, dass der Schriftführer nicht mithilft, auf das Gepäck zu warten, sondern schon vorgeht und den Papierkram mit dem Auto erledigt. Dieses Vorgehen schließt das Vorbeigehen an Gepäckbergen hinter tragisch durchgängendem Flatterband ein. O weh.
Ich folge den Hinweisen, verlasse das Terminal, kreuze die Straße, betrete das Parkhaus und finde eine Reihe von Mietwagenparkplätzen der verschiedenen Anbieter. Unserer ist natürlich der am weitesten entfernte, aber am Ende ist niemand. Einige haben hier kleine Schalter, aber ob man hier überhaupt ein Auto bekommt? Ich gehe zurück ins Terminal, wo ich auf den zweiten Blick sofort die völlig normalen Mietwagenschalter entdecke. An allen stehen lange Schlangen, außer an dem, dessen Autos am weitesten entfernt im Parkhaus stehen. Glück gehabt.
In kürzester Zeit bekomme ich die Schlüssel, und das Auto steht tatsächlich drüben im Parkhaus. Trotz meiner Verwirrung vorhin finde ich das besser so, als erst noch irgendwo hingekarrt zu werden. Nur: wo liegt der Unterschied? Die Autovermietungen, die hier einen Schalter haben, haben am Ende der Shuttlebusroute ja noch einen. Wer legt das fest? Hängt das davon ab, in welchem Terminal man ankommt? Ihr könnt ja mal eure Ansicht dazu in die Kommentare schreiben.
Das Gepäck ist auch angekommen. Wir haben trotzdem Zeit gespart und suchen das Auto. Es handelt sich um einen Suv einer spanischen Marke, sieht ziemlich aggro aus, und wie immer werde ich im Folgenden gelegentlich darüber jammern. Erstmal stößt nur das älteste Kind einen Freudenschrei aus und bemächtigt sich sämtlicher Fahrzeugfunktionen, die über den Touchscreen erreichbar sind. Also eigentlich fast alle. Für den alten Steuermann bleiben nur die wenigen echten Bedienelemente: die Pedale, das obere Ende eines leider gelegentlich immernoch anzutreffenden technischen Fossils namens Gangschaltung und das Lenkrad.
Bei Dunkelheit, wir sind ja noch im Parkhaus, hat das Auto nichts Besseres zu tun, als das Firmenemblem aus den Außenspiegeln auf den Boden zu projizieren. Das ist aber nur stylish, für eine echte Sichthilfe ist es zu dunkel. Ab sofort wird das Auto bei jedem Bootvorgang beginnen, ein Lied von Scooter aus den Lautsprechern zu posaunen. Beim ersten Mal denken wir noch, dass das ein kleines Software-Problem ist. Das betreffende Kind wäre in diesem Fall unschuldig und hätte nicht jetzt schon ein bedenkliches Interesse für Oldie-Musik.
Beim Rangieren im Parkhaus stelle ich fest, dass das kleine Suv ziemlich groß und vor allem sehr breit ist. Alte Parkhäuser sind für diese Autos einfach ungeeignet. Es spuckt uns direkt in ein mittleres Verkehrschaos, wie es in der Nähe von Flughäfen oder im Berufsverkehr von Kalkutta üblich ist, verstärkt durch eine Teilsperrung der Straße am Terminal 2, die der Reduzierung des Chaos dienen soll (also die Sperrung). All das erfordert einen erfahrenen und entschlossenen Fahrer mit stählernen Nerven. Er ist praktisch eins mit dem Fahrzeug, verfügt über Augen mit 360°-Blickfeld, ruht twentyfourseven in sich selbst und lässt s…
„Was? … Ja, das wollte ich doch gerade schrei… „
„Heipa, heipa.“
„Mach doch mal endlich diesen Mist aus! Und jetzt Ruhe, bitte.“
Er lässt sich, wollte ich gerade gottverdammtnochmal sagen, nicht von der Seite anquatschen, schon gar nicht von der falschen. So jemanden bräuchten wir. Stattdessen sitzt der Irlandfan am effing Steuer. Irgendwie finden wir unseren Weg Richtung M50, und wir sehen einige der vollgestopften Mietwagenshuttlebusse. Die gibt es also wirklich noch, Fragen dazu stehen oben.
Der Verkehr entspannt sich, wir auch. Die Fahrzeug-Software testet uns ein bisschen und haut uns randomisierte Hinweise um die Ohren. Es gibt zum Beispiel ein Unterprogramm, das sich laufend eine eigene Meinung darüber bildet, ob man den richtigen Gang eingelegt hat. Falls es damit nicht einverstanden ist, sagt es nicht etwa „Legen Sie den Gang x ein“, sondern zeigt einen mehrzeiligen Prosatext an, der sinngemäß lautet: „Bitte beachten Sie die Gangwechsel-Anzeige, weil Sie dann sparsamer und effizienter fahren.“ Ok, und wo ist nun diese Gangwechsel-Anzeige? Ach, da unt… „Bitte fahren Sie mittig auf der Spur.“
Ein davon unabhängiges System macht ab und zu „Büng“. Wir wissen nicht, was es bedeutet.
Da wir Nordirland nicht queren wollen, nehmen wir die M4 (später N4) über Sligo und Donegal, die Stadt. An der Raststätte Enfield telefonieren wir uns mit den anderen Irlandfans zusammen. Wir bestellen an einem großen Touchscreen und garnieren den veganen Burger mit der Zusatzoption „Bacon“. Die Software stört sich nicht daran. In der Halle ist es ziemlich laut, und ein freundlicher kleiner alter Mann verursacht unangenehme Geräusche, indem er längliche Luftballons zu Giraffen verknotet. Wir sitzen lieber draußen, an Tischen und regensicher in seltsamen großen Kunststoff-Fässern.
Mit gestärkten Körpern und Geistern fahren wir ohne Weiteres bis Sligo, wo wir in der Stadt einkaufen wollen. Das scheitert, weil der Parkplatz gestrichen voll ist, und bevor wir irgendwelche Experimente starten, beschließen wir, es stattdessen in Donegal, der Stadt, zu versuchen. Das gelingt. Auf dem Parkplatz stellen wir fest, dass ein spezielles Automodell, auf das wir zu Hause mehrere Augen geworfen haben, und das wir bisher in Berlin mangels Verfügbarkeit nicht mal zur Probe fahren konnten, hier recht häufig zu sehen ist. Fadenschein, ick hör dir trapsen.
Hinter Donegal, der Stadt, schickt uns die Navigations-Software überraschend auf die ziemlich schmale R262. Sie hält das vermutlich für eine sinnvolle Abkürzung, und sie hat von unserem Wunsch, uns nach drei Jahren Abwesenheit eher vorsichtig an irische Straßen zu gewöhnen, nichts mitbekommen. Zum Glück herrscht hier aber wenig Verkehr. Die meisten Leute, denen wir begegnen, wirken überrascht. Wir kommen in Dungloe wieder heraus und sind schweißgebadet.
Hinter Lettermacaward (Auszeichnung, die man bekommt, wenn man auf einem Apple-Computer einen Buchstaben richtig eingetippt hat) stutzen wir bei 60km/h: links der Straße zieht sich ein großer Friedhof den Hügel hinauf. Der Friedhof ist voller Menschen, die überall verteilt herumstehen oder -sitzen und einem Priester zuhören, der über Lautsprecher spricht. Eine Trauerfeier ist das nicht, aber was dann?
Wir schieben die Frage auf und fahren ohne weitere Zwischenfälle über Gweedore nach Gortahork. Die letzten paar hundert Meter werden wirklich eng. Das Auto ist jetzt endgültig davon überzeugt, in mir einen schlechten Fahrer gefunden zu haben, und klagt in roter Farbe über sehr nahe Hindernisse (Pflanzen am Wegesrand) auf beiden Seiten gleichzeitig. Zum Ausgleich gibt es noch ein paar Stellen, die sehr unübersichtlich sind, weil die steil zum Himmel aufragende eigene Motorhaube den Blick auf die Straße verdeckt. Wir finden das Haus und die Schlüsselbox und ziehen ein.
Wir trinken ein Guinness auf den erfolgreichen Tag, bereiten das Abendessen, unternehmen einen kleinen Spaziergang rund ums Haus und je einmal die Straße rauf und runter und beginnen dann mit dem Auspacken.
Summer Dream
Sonntag, 31.7.2022
Wir haben im Schlafzimmer die Fenster unwissentlich stark abgedunkelt, dabei aber das Dachfenster vergessen, durch welches mir die Sonne am Morgen direkt ins Gesicht strahlt. Und ich werde mit der angelsächsischen Tradition „nur eine Decke im Doppelbett“ nie klarkommen.
Der Blick aus dem Haus fällt einerseits auf die Bergkette der Derryveagh Mountains, die unter anderem den bekannten Errigal enthalten, und andererseits auf eine den Gezeiten ausgesetzte Mündungs-Bucht namens Ballyness Bay. Bitte wikipediert mal nach Ästuar, ich warte solange.
Die Düsternis des Wohnzimmers gefällt uns nicht so gut, weshalb wir wohl die meiste Zeit stattdessen im Wintergarten verbringen werden. Vor dessen Fenster erscheint gerade ein Huhn und prüft die Neuankömmlinge. Das ist sicherlich nicht als Angebot gemeint, darum frühstücken wir konventionell und erschließen dabei die Küchentechnik und -ausstattung, und wo sind eigentlich die Tassen? Der Kühlschrank heißt Hotpoint und der Backofen Powerpoint.
Wir beginnen den eigentlichen Urlaub mit der kurzen Fahrt zum Magheraroarty Beach, dessen Name wahrscheinlich auf keinen zwei Schildern oder Karten gleich geschrieben wird. Es gibt einen größeren Parkplatz und einen kleinen Hafen, weil von hier die Fähre nach Tory Island abfährt, und ein paar Fischerboote liegen hier auch. Wir lassen das alles erstmal außen vor und laufen einfach am Strand entlang.
Das Wetter wird immer besser und erfordert zunehmend den Einsatz von Sonnenbrillen. Je weiter wir kommen, desto einsamer wird es. Nach der Ecke sind wir eigentlich allein. Wir rasten im Sand und steigen dann über die Dünen, um zurück zum Parkplatz zu gelangen. Auch dieser Weg ist recht lang. Wir sehen eine große Menge von seltsamen Insekten, die einschließlich der Flügel schwarz sind, aber drei oder vier orangerote Punkte aufweisen.
Wir fahren durch Gortahork hindurch, um in Falcarragh einzukaufen. Eigentlich hätte Gortahork auch gereicht, da es in jedem Ort einen zumindest kleinen Supermarkt gibt, aber heute ist in Gortahork eine ähnliche Großveranstaltung am Friedhof wie gestern in Applekey City. Wir geraten mitten in den Massenaufbruch der Teilnehmer, die anwesenden Polizisten regeln den Verkehr, wobei sie die Vorfahrt in Abhängigkeit davon priorisieren, wie gut sie die Fahrzeuginsassen kennen, und in diesem Chaos ist es völlig unmöglich, einen Parkplatz zu finden.
Der Abend wird sehr sonnig und nahezu wolkenfrei, was Teile der Irlandfans animiert, zum nicht sehr weit entfernten blutigen Vorland (Bloody Foreland) zu fahren, wo man aus geografischen Gründen die untergehende Sonne sehen wird. Die ganze Gegend dort ist für irische Verhältnisse ziemlich dicht besiedelt… oder sagen wir bebaut, denn die meisten Häuser sind aktuell nicht bewohnt. Vielleicht sind es ja Wochenend-Häuser oder es war mal eine unwiderstehliche Investition.
Wir finden einen kleinen Parkplatz am oberen Rand einer Steilküste. Dort stehen auch schon einige andere Leute mit einem Camper. Wie die mit den vielen Gnitzen auskommen, die alles anfallen, was sich nicht bewegt, bleibt unklar. Die Sonne geht wie geplant unter, wenn auch wie so oft hinter einigen weit entfernten Wolken.
The Sound Above My Hair
Montag, 1.8.2022
Der Tag beginnt sonnig. Das Dachfenster ist ordnungsgemäß abgedunkelt, trotzdem: raus aus den Federn!
Das gilt nicht für das Huhn, das heute bereits ein paar Freunde mitgebracht hat. Mehr als drei sind laut Definition eine Invasion.
Beim Verlassen des Grundstücks macht das Auto unerwartet eine heftige Vollbremsung. Wir vermuten, dass es die am rechten Rand wachsende Brennessel erkannt hat und sich nicht wehtun wollte. Bestätigen können wir das allerdings nicht. Bei einem Wiederholungsversuch passiert nichts.
Ich habe gelesen, dass dieses Modell vom Hersteller als Mix aus Suv und Coupé gedacht ist. Naja, gedacht ist das falsche Wort. Nicht rechtzeitig die Irren aufgehalten trifft es besser. Wenn die Hersteller weißer Ware so denken würden, hätten wir heute alle Geschirrspüler mit Schleudergang.
Wir fahren heute wieder in Richtung Dunfanaghy. Dort biegen wir ab und suchen den Horn Head auf, ein Stück Steilküste, das wir vom Haus aus sehen können. Wir stellen die Autos auf den kleinen Parkplatz. Beim ersten Versuch, das Auto zu verlassen, macht der Wind erstmal die Tür wieder zu. Ok, das war deutlich, aber wir sind schon dankbar, dass das nicht schon wieder die Software war. Der zweite Versuch gelingt, es gibt eine Runde Kekse, und wir gehen rund um den ersten Hügel herum. Auf der anderen Seite steht eines von diesen kleinen Wach-Häuschen mit einem halbrunden Ausguck. Obwohl die Fenster weg sind, gibt es uns etwas Schutz vor dem Wind.
Etwas weiter unten erblicken wir noch eine Ruine. Der Weg dorthin schenkt uns immer neue Ausblicke auf die umliegende Steilküste, die sich zumindest optisch nicht vor den Cliffs of Moher verstecken muss. Leider beginnt ein wechselhafter Drizzle. Wir hüpfen einmal um die kleine Ruine herum und gehen zurück zum Parkplatz. Das Wetter setzt sich fest und fort.
Ein Stück weiter an der Straße steht eine weitere von diesen Wildatlanticway-Motivklingeln, weil man von hier auch (!) einen schönen Ausblick auf die Steilküste hat.
Laut Karte gibt es ein Stück weiter die Ards Friary. Wir setzen uns in Bewegung, lassen es aber wieder sein, weil schon die Zufahrt beschrankt ist und den Einwurf von Münzen erfordert. Eine schnelle Prüfung ergibt, dass das gar kein geschichtsträchtiger Ort ist, sondern ein Kongresszentrum oder sowas. Nein danke.
Stattdessen finden wir das Doe Castle. Das ist wenigstens eine anständige Ruine. Es scheint aus mehreren zusammengewürfelten Bausätzen zusammengebaut worden zu sein, und das auch noch schief.
Wir fahren zurück nach Dunfanaghy und schlendern einmal die Straße rauf und wieder runter. In einem besseren Souvenir-Laden darf ich mir zwar immernoch keinen Paddyhat kaufen, aber dafür gibt es endlich Guinness-Espressotassen. Die hatte ich vor einigen Jahren noch vermisst. Anscheinend liest jemand aus der Guinness-Souvenirabteilung hier mit. Könnte ich dann bitte noch ein Strandtuch…?
Ein Pub lädt zum Essen ein, und das Wetter rät uns auch dazu. Es gibt Burger und Ähnliches und Espresso aus normalen Tassen.
Den Einkauf erledigen wir in Falcarragh, und dazu gibt es für alle 99.
Am Abend spielen die Musikanten wieder auf.
Liquid Is Liquid
Dienstag, 2.8.2022
Seit gestern abend ist es ziemlich windig, und die Nacht war direkt stürmisch. Wir zählen kurz durch, aber niemand ist weggeflogen.
Über das schon erwähnte blutige Vorland fahren wir zu einem kleinen Strand mit Pier. Es heißt Port Arthur und wird darum häufig mit der ehemaligen britischen Strafkolonie in Tasmanien verwechselt. Auf dem Pier kann man schon mal nicht herumsitzen, weil das Meer kabbelig ist und ab und zu eine Welle auf den Beton klatscht. Eine richtig windgeschützte Stelle finden wir auch am Rest des Strandes nicht. Ein Boot legt an, mit dem man nach Gola Island fahren könnte, aber nicht wir bei dem Wetter. Die Leute an Bord haben alle Schwimmwesten an.
Die ganze Gegend ist für irische Verhältnisse recht dicht besiedelt, oder sagen wir bebaut. Das, was man so Orte nennen kann, geht oft nahtlos ineinander über. Viele Häuse scheinen auch hier, wie schon vorgestern beobachtet, nicht dauerhaft bewohnt zu sein. Klar ist es schön hier, aber anderswo auch. Das ahnunglose Auge findet das seltsam und voll, aber leblos. Der Rest isst ein Eis.
Wir biegen in Bunbeg wieder ab und fahren über Gweedore nach Dunlewey zu Füßen das Errigal. Dort setzt leichter Regen ein, was wir nicht vorher gewusst haben. Dunlewey hat laut Instagramm zwei sehr fotogene Kirchen, wozu der Errigal hintergründlich beiträgt. Die erste ist noch intakt und heißt „Sacred Heart“, und wir sehen sie auch, verpassen aber die sehr unscheinbare Einfahrt und landen stattdessen an einer Art Damm, der zwei Seen voneinander trennt. Hier ist es auch schön, um ein wenig spazierzugehen, wozu der Errigal ebenfalls beiträgt.
Der Regen stört nicht so sehr. Wir überqueren den Damm und wenden uns nach rechts, weil von dort ein Wasserfall akustisch auf sich aufmerksam macht. Der wird gleich ein Testcase für das neue variable ND-Filter, aber durch den Wind, der die Pflanzen schüttelt, wirkt das Ergebnis… naja. Mal schauen.
Wir laufen zurück und fahren weiter zur Dunlewey Church. Laut Internet ist sie verlassen, vermutlich, weil es durch das fehlende Dach einfach zu viel reinregnet. Aber auch sie ist sehr malerisch, wozu der Errigal sicherlich beiträgt.
Der Regen nimmt wieder zu. Wir fahren weiter, durch die Berge und über eine Tränenbrücke, während der Hochnebel der Sonne weicht. In Falcarragh scheint bereits die Sonne. Wir kaufen kurz ein und fahren nach Hause, wo es erst Regenbögen und dann Nudeln gibt.
Down To The Bone
Mittwoch, 3.8.2022
Heute gibt es das erste irische Frühstück. Wir sind zu einer täglich rotierenden Sitzordnung übergegangen, schließlich möchten alle mal beim Essen den Ausblick auf die Spüle haben.
Erstes Ziel ist der Donegal Airport. Wir wollen zusehen, wie ein Flugzeug landet, und vielleicht dort noch weiter durch die Gegend oder am Strand spazieren.
Der Airport ist ein Aerfort und leicht zu finden. Zwischen der Piste und dem Strand liegen mehrere Dünenhügel, die einen guten Ausblick ermöglichen. Kurz bevor das Flugzeug kommt, fährt jemand mit einem Pickup einmal auf der Landebahn hin und her und sucht nach Problemen. Er findet keine, und kurz darauf landet das Flugzeug. Eine dreiviertel Stunde später startet es wieder, und das war der gesamte Betrieb für heute.
Wir verlassen den Beobachtungshügel und spazieren hinüber zu einem kleinen Strand, vor dem eine Insel namens Illanamarve liegt. Aktuell ist sie wegen Ebbe zu Fuß zu erreichen. Wir klettern ein wenig nach oben und finden einen kleinen Friedhof. Uns ist eine irische Familie gefolgt, weil ihr unerzogener Hund lieber uns hinterhergelaufen ist und sich weigert, umzukehren. Sie erklären, dass dies ein Friedhof für fremde Seeleute ist, und für Kinder, die gestorben sind, ohne getauft worden zu sein, und darum nicht in kirchlichem Boden bestattet werden durften. Ein weiterer der vielen dicken, ausgestreckten Mittelfinger, die die Kirchen den Menschen seit 2000 Jahren zeigen. Illanamarve bedeutet „Insel der Toten“.
Später fahren wir zurück, vorbei am Flughafen, um die Bucht herum und wieder nach Norden und finden ein Schiffswrack names Bád Eddie, das am Strand langsam vor sich hin rottet. Wie zum Hohn ist es mit allerlei Lichterketten behangen.
In Falcarragh holen wir in einem verdächtig vollgedampften Laden namens „Something Fishy“ Fish & Chips für alle, schleppen das nach Hause und essen es auf.
Am Abend gibt es wieder Musik.
Rhapsody in Glenv-E
Donnerstag, 4.8.2022
Ich muss ja sagen, dass es mir in diesem Jahr etwas schwerer fällt, mich wirklich als „angekommen“ zu betrachten. Ich kann das nicht klar begründen. Einen Teil der Schuld schiebe ich auf die seltsam verschlossene Bebauung der Gegend und die Querelen mit der Auto-Software. Immerhin ist heute schönes Wetter.
(Hihi, denkt das Wetter.)
Zu den bekannteren Bekanntheiten dieser Gegend zählt der Glenveagh Nationalpark, der sich um ein längliches Tal gebildet hat und einen See, ein Schloss (heißt auch Glenveagh) und ausgedehnte Grünanlagen umfasst.
Außerdem einen großen Parkplatz mit verschütteten Toilettenhäuschen. Von hier kann man auch mit einem Schattel zum Schloss fahren, mit eigenem Auto geht das nicht. Wir umgehen das Besucherzentrum und wandern lieber zum Schloss. Man hat dabei, wie eigentlich immer, mehr Zeit für Ausblicke in die Landschaft.
Kurz vor dem Schloss beginnt die erwartete triefend üppige Gartenlandschaft. Am Schloss ist eine Menge los. Es ist direkt an den See gebaut, und man darf überall herumlaufen, einen kleinen Turm besteigen, die Elbenromantik eines herbsthaft melancholisierten Schwimmbeckens bewundern (oder was das ist) und weitere Gartenanlagen beobachten.
Im Schlosshof befindet sich ein Café, wo wir Kaffee und Kuchen beschaffen und einnehmen. Da die Angestellten schon hinter der Theke etwas überfordert sind, ist das System der Selbstbedienung berechtigt.
Teile der Gruppe wandern weiter zum Astelleen-Burn-Wasserfall, der am Ende des Sees denselben speist. Das lohnt sich und ermöglicht weitere schöne Blicke auf Wald, See und Berge. Der Wald zieht sich langsam zurück, und wir auch. Ein noch kleinerer Teil der Gruppe eilt auf dem Rückweg voraus, erstens, um noch den Umweg über den Aussichtspunkt oberhalb des Schlosses zu nehmen, und zweitens, um den heranziehenden kräftigen Schauer etwas eher abzubekommen.
Der Aussichtspunkt lohnt sich ebenfalls. Der Weg ist befestigt, aber sehr steil, so dass man das Fehlen von Stufen wohl kaum als behindertengerecht bezeichnen könnte. Immerhin kommt man auch ohne gute Kondition hinauf; der Beweis dafür ist die Tatsache, dass ich oben war. Vom Schloss selbst sieht man nur ein paar Teile des Daches, aber das ganze Tal und der See liegen einem zu Füßen.
Am Parkplatz finden sich alle wieder zusammen. In Falcarragh erledigen wir den Einkauf, wozu auch Steaks gehören.
Und auch heute abend wird wieder musiziert. Als ich kurz davor zufällig allein in der oberen Etage bin, bricht unten ein länger anhaltendes, wieherndes Gelächter aus. Der Grund dafür ist mir unklar, vielleicht wurde ja ein Witz über einen Abwesenden gemacht, aber das spielt auch keine Rolle, denn: irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, angekommen zu sein.
Endless Summer
Freitag, 5.8.2022
Zunächst ist für heute Kühlheit geplant. Wir wollen trotzdem zu einem Strand, der über einen (nicht unter einem) Boardwalk erreichbar ist.
Zunächst halten wir kurz an einer weiteren Motivklingel, die auf das bereits bekannte Doe Castle jenseits eines Meeresarmes hinweist. Kurz darauf sagt das GNSS an einem geöffneten Tor: „hier reinfahren“, aber das sieht uns zu sehr nach der Einfahrt zu einem teuren Hotel oder einem Golfplatz aus, so dass wir vorbeifahren, eine Diskussion durchführen, wenden und dann doch reinfahren. Wir durchqueren eine Art Gated Community (oder meinetwegen „Resort“) und gelangen an einen Parkplatz mit Restaurant und Spielplatz.
Hier beginnt auch der Bretterweg durch die Dünen zum Strand. Wir folgen ihm und spazieren noch ein Stück den Strand entlang. Wir begegnen einem Segler vor dem Wind (englisch „by-the-wind sailor“, deutsch Segelqualle). Das recherchieren wir aber erst später, erstmal staunen wir nur ahnungslos vor so viel rätselhafter Natur.
Das Wetter ist aber bisher nicht für einen Strandtag geeignet. Insbesondere ist es zu kühl und zu windig. Wir boardwalken zum Parkplatz zurück, essen einen Imbiss und fahren weiter auf die mit kleinen Stränden, Felsen und Campingplätzen gespickte Melmore-Halbinsel. Dort ist es plötzlich viel sonniger, und wir legen uns auf den Strand namens Trá na Rossan. Einmal mehr sind nur wenige Leute zu sehen, obwohl viele Autos oben parken.
Es ist weiterhin windig, und ich balge mich mit einem Zweileiner herum, den ich vor zwei Jahren an der Nordsee gekauft habe und der – wie mir erst jetzt bewusst wird – bei flüchtigem Hinsehen farblich mit einem gewissen Nationalstolz assoziiert werden könnte. Das Wenige, das ich davon besitze, möchte ich bestimmt nicht zur Schau stellen. Man soll eben nie den Drachen im Sack kaufen. Damals fand ich ihn einfach hübsch bunt.
Andere bewerfen sich mit Meeresflora.
Der Strand leert sich, und auch wir packen zusammen. Auf dem Fußweg kommt uns ein junger Mann entgegen, der zum Strand geht. Dort will er mit Hilfe von mehreren Koffern voller bunter ausgefuchster Hochtechnologie den Beweis antreten, dass er cleverer ist als ein durchschnittlicher Fisch. Wir trinken noch Espresso an einem Imbisswagen und fahren nach Hause.
No Time To Chill
Samstag, 6.8.2022
Heute wollen wir Richtung Süden fahren und schauen, was es dort so alles gibt. Das ist die Gegend, in die wir 2020 nicht gefahren sind. Auf dem Weg passieren wir nochmal den Donegal Airport und nur ganz knapp einen älteren Ford, dessen Fahrer offenbar vorhatte, uns zu töten. Anderenfalls würde er ja eine an die Kurvenradien angepasste Geschwindigkeit wählen.
Bei Maghery werfen wir kurz einen Blick auf das Haus, das wir damals schon gebucht hatten. Hier wäre es auch schön gewesen, insbesondere sehr nahe am Strand. Naja, es gibt bestimmt ein nächstes Mal.
Südlich davon beginnt eine zerklüftete Steilküste namens Crohy Head, die man punktuell zu Fuß aus verschiedenen Richtungen betrachten kann. Zu den Punkten zählt eine Seetang-Fabrik, die aber eine unbeschriftete und unzugängliche Ruine ist, so dass unklar bleibt, wo jetzt der ganze Seetang hergestellt wird. Weiterhin gibt es einen Signalturm (Crohy Tower) und diese Weltkriegs-Geoglyphen, hier die Nummer 74. Der Weg zu letzterer ist brusthoch mit Farnkraut zugewachsen, und es ist für beide Seiten ziemlich anstrengend, da durchzulaufen.
Als nächstes folgt ein un-amtliches Hinweisschild am Straßenrand und eine Stelle, wo offenbar schon sehr viele Leute über den Zaun gestiegen sind. Der Grund scheint unklar, dahinter befindet sich eine zum Meer abfallende Weide. Aber wir haben Internet, und wir haben das Schild gelesen. Wir überqueren die Weide, und an deren Ende fällt das Gelände steilfelsig zum Meer ab. Unten liegen viele Felsen, die wie Reißzähne aussehen, und ein großes, gezacktes Felsentor im Wasser. Es heißt „The Briste“, angeblich, weil es wie eine Hose aussieht. Naja. Es hat hier auch Minen gegeben, in denen Soapstone (Speckstein) abgebaut wurde.
Rutschiges Schuhwerk (Seifensteine), Schwindelneigung und sperriges Gepäck sind ausdrücklich nicht erforderlich. Auf dem Abstieg gibt es gefährliche Stellen, keine Geländer und keinen Mobilfunkempfang. Es lohnt sich aber, darum verbringen wir hier einige Zeit.
Wieder oben rätseln wir, ob wir zurückfahren. Der Wille ist da, aber jemand hat auf der Anfahrt ein Einbahnstraßenschild gesehen. Angesichts der Straßenbreite ist das sehr löblich, aber wir müssen einen längeren Umweg um die ganze Halbinsel in Kauf nehmen. Aber gerne doch!
Zurück in Dungloe gibt es Kaffee, und wir kaufen das Fehlende im Supermarkt. Am Rande gibt es auch Politik.
Dann fahren wir für kurze Zeit nach Hause und dann weiter zum Abendessen. Die Gruppe teilt sich: ein Teil möchte in ein Pub in Dunfanaghy mit Live-Musik, der Teil mit dem Irlandfan hat in den letzten Tagen des öfteren im Vorbeifahren kurz vor Dunfanaghy einen Biergarten gesehen, in dem eine S-Bahn steht.
Wie sich herausstellt, gehört der Biergarten zu einem komplexen Camping-Komplex. Die S-Bahn ist (leider) keine, sondern ein rot-gelb restaurierter Eisenbahnwagen, in dem sich mietbare Unterkünfte befinden. Den Rest schauen wir uns nicht an, aber es ist viel Betrieb, und es scheint uns alles recht luxuriös zu sein. Das deutsche Wort dafür ist Glamping.
Das Essensangebot ist auch untypisch, aber sehr lecker. Es gibt auch ein Bier zum Autokennzeichen: DL wie Donegal Lager.
Am Abend erklingen wieder die Bildschirm-Seiten.
We Take You Higher
Sonntag, 7.8.2022
Am Morgen ist es noch trübe, aber es wird besser werden. Und auch wenn es sehr weit ist und wir viel im Auto sitzen werden, wollen wir heute zum Slieve League. Dazu benötigen wir ein irisches Frühstück, sonst schafft man das gar nicht.
Kurz hinter Ardara biegen wir von der N56 in ein längliches Tal namens Glengesh ab, weil das schöner ist. Die Strecke Richtung Killybegs kennen wir ja schon. Am Ende des Tales schraubt sich die Straße über den nächsten Berg, und oben hat man eine schöne Aussicht auf das Tal.
Ja, mehr ist es nicht, aber es ist eben schön, ok?
Der letzte Besuch am Slieve League ist mehr als 14 Jahre her, und es ist zu vermuten, dass der Zugang professionalisiert worden ist. Die hilfreichen Schilder („Parkplatz“, „Shuttle-Bus“), noch im Ort, ignorieren wir und fahren die Straße hinauf. Oben gibt es ja noch einen Parkplatz.
Der ist allerdings voll. Alle Autos wenden sehr umständlich. Die Lenkradverantwortlichen unserer Gruppe setzen die anderen hier ab und fahren wieder hinunter. Die Parkplätze unten sind wirklich sehr geräumig, und daneben steht ein Bus.
„Ist das hier der Shuttlebus nach oben?“
„Nein.“
Da hinten steht noch einer.
„Ist das hier der Shuttlebus nach oben?“
„Noch nicht.“
Wir kaufen im Laden die Tickets. Währenddessen fährt der Bus ab, und der, der vorhin „nein“ gesagt hat, fährt vor. Kurze Zeit später fährt er uns, vorbei am Chaos-Parkplatz und am Rest der Gruppe, bis zum oberen Ende der Straße. Der Fahrer ist mit der steilen Straße und den halsbrecherischen Kehren noch nicht ausgelastet, sondern erzählt auch noch Wissenswertes und Unterhaltsames: „In Mayo sagen sie, ihre Klippen seien höher. But thä no nuffin‘.“
Am erwähnten „oberen Ende der Straße“ haben sich einige Imbiss- und Verkaufswagen angesammelt, aber das war es dann auch. Ab hier ist man auf sich allein gestellt. Wir laufen ein Stück den Berg hoch, aber es gibt keinen Plan, den schmalen Pfad am Rande des Abgrundes zu betreten. Die Aussicht von hier ist schön genug, und das Wetter passt dazu. Weiter oben wallen wie aus dem Nichts Wolken über die Bergspitzen.
Die Shuttle-Tickets würden zumindest einigen die Rückfahrt mit dem Bus gestatten, aber wir beschließen, zu laufen. Wie immer hat man dabei die Ruhe und mehr Ausblicke, zum Beispiel auf Eire 71. Weiter unten, nach dem oberen Parkplatz, ist die Straße allerdings etwas zu stark befahren. Im Café neben einem von den sehr großzügigen Parkplätzen nehmen wir den fälligen Kaffee bzw. das fällige Eis.
Ehrlich gesagt, hoffe ich, dass diese Parkplätze überdimensioniert und wirklich nie ausgelastet sind. Wie mag es sonst dort oben aussehen?
Es ist zwar schon später Nachmittag, aber wo wir schon mal hier sind, sollten wir noch nach Glencolumbkille fahren.
Und nach Malin More.
Und nach Malin Beg.
Uns erwarten wunderbare Landschaften, vereinzelte Besiedlung, Steilküsten und Strände. In Glencolumbkille ist ein bisschen mehr los, weil viele gerade den Strand mit dem Restaurant tauschen. Am Museumsdorf gibt es eine steinerne Irland-Karte, auf der jedes County aus einem anderen Gestein besteht.
Irgendwo hier wird man auch etwas Anständiges essen können. Das wunderbare Restaurant in Malin Beg oberhalb des spektakulären Strandes gibt es leider nicht mehr. Wir finden in ganz Malin X nichts und fahren zurück nach Glencolumbkille. Dort finden wir ein Restaurant direkt neben Oideas Gael, einem Kultur- und Sprachlern-Zentrum, wo man Irisch oder Harfe lernen kann. Der Buchladen ist leider schon geschlossen, wird aber aus Nettigkeit für uns wieder aufgeschlossen. Das irische Scrabble kaufen wir nicht, aber es gibt auch eine kleine Abteilung mit englischen Büchern.
Das Essen schmeckt auch gut, und dann fahren wir über Killybegs in die Dunkelheit.
Under The Radar Over The Top
Montag, 8.8.2022
In der digitalen Karte finden wir den Lough Altan, der zu Füßen des Errigal liegt. Letzteren halten wir für zu anstrengend, aber zum See wird der Weg ja flach sein.
Wir machen einen kurzen Zwischenstop an der Tränenbrücke, weil heute das Wetter besser ist.
Der Parkplatz am Straßenrand, der den Beginn des Aufstiegs zum Errigal markiert, ist um diese frühe Mittagsstunde bereits gut gefüllt. Es kommen auch schon viele Leute wieder herunter, darunter einige, denen ich das in Anbetracht der Körperform und ihres Schuh- und Kleiderwerks gar nicht empfohlen hätte. Zum Glück für alle Beteiligten fragt mich niemand. Und es versucht auch niemand, mir die Sache auszureden. Ob mit oder ohne Takt.
Zum Lough Altan kommen wir auf diese Weise aber nicht, und schon gar nicht einfach. Der Fuß des Errigal will so oder so erklommen werden, und der Weg, der zum See führen müsste, sieht sehr matschig aus. Der See ist von hier aus noch nicht mal zu sehen. Wir ändern den Plan und besteigen den Errigal, jeder, so gut er kann und will. Was von unten wie ein Weg aussieht, ist über weite Teile nur eine Kette von Wanderern, die versucht, sich in dem steil ansteigenden Geröllfeld nach oben zu kämpfen.
Es gibt vereinzelt Stufen oder einen Pfad, aber das hört weiter oben auf. Man braucht keine Bergsteigerausrüstung, aber zwei feste Schuhe und ständig griffbereite Grußworte. Der Wind ist schneidend kalt geworden, und wie manche das hier in Shorts, Shirt und Sandalen bewältigen, ist schon bedenklich. Das ist ja hier kein Pilgerberg oder sowas.
Der Ausblick ist fantastisch. Wir haben eine gute Sicht in alle Richtungen, im Norden bis nach Tory Island und über die runden Berge im Süden und Osten. In der Nähe des Gipfels schaut man über eine Art Kante hinunter nach Dunlewey, und hier kann ich meine Höhenbesorgnis nicht mehr abschalten.
Für eine echte Rast am Gipfel reicht der Platz nicht, und es ist auch viel zu windig. Wir kehren um und steigen wieder hinab.
So. Und was machen wir jetzt mit dem angefangenen Tag?
Sagt mal… wir sind doch immer mal wieder an einer Whiskey-Destillerie vorbeigefahren, mit Führung und so. Die Kinder sind doch alt genug, oder? – Ja, sagen die Kinder.
Die Destillerie liegt in Croithli, was leider nicht Kräutli, sondern Crolly ausgesprochen wird. Für eine erfüllende Führung fühlen sich die Füße fürwahr zu gefühllos an. Der Einkauf unterbleibt auch, weil alle gebotenen Getränke zur eher hochpreisigen Sorte gehören. Beides macht uns eine herbeieilende menschenkennende Mitarbeiterin auch mimisch klar. Eine Verkostung scheint auch nicht direkt vorgesehen zu sein, vielleicht nur als Teil der Führung.
Wir fahren um die Ecke und essen in Leo’s Taverne, der Heimat von Clannad und Enya, Burger.
Dann ist noch etwas einzukaufen, darunter ein Fass mit wässriger Harnstofflösung, weil eines der Autos mit bedrohlichen Worten danach giert. Das Zeug ist so dermaßen teuer und das Einfüllen so schwierig, zeitaufwändig und mit einer unglaublichen Sauerei verbunden, dass völlig verständlich ist, warum viele Autohersteller stattdessen lieber bescheißen.
Sarkasmus aus, gute Nacht.
Irlandfans del Mar
Dienstag, 9.8.2022
Tory Island ist noch offen. Heute wird es sonnig, das passt. Mit dem Auto ist es ja nicht weit bis zum Hafen. In einem kleinen Büro kaufen wir die Tickets und stellen uns auf den Steg das Pier.
Ich persönlich habe von der Insel das erste Mal durch den Kühlschrank-Mann gehört. Seinerzeit gab es den König von Tory Island noch. Wörtlich ein Rí, also ein König, war er de facto eine Art Bürgermeister, Touristenbegrüßer, Geschichtenerzähler und Streitschlichter. Seit seinem Tod 2018 wurde kein neuer gewählt.
Das Schiff ist nicht besonders groß, aber gut ausgelastet: Leute, Gepäck, Fracht, Pakete. Es heißt „Königin von Aran“. Im vorderen Teil könnte man innen sitzen, wir ziehen es vor, am Ende des Schiffes Heck, also draußen, zu sitzen.
Auf der Fahrt schwankt stampf, rollt und giert das Schiff für uns Landratten ziemlich stark und vor allem auch nicht immer vorhersehbar. Manchmal schwappt auch Wasser über den Fußboden das Deck. Das behagt dem Magen nicht so sehr. Aus dem Innenbereich, dem Magen des Schiffes, kommen ab und zu Leute, denen man ansieht, dass ihnen die Meinung ihres Innenbereiches gleich zu Kopf steigen wird. Sie blicken über den Zaun die Reling ganz tief ins Wasser. Beruhigend finde ich, dass direkt vor mir zwei Angestellte stehen, sich an einer Kiste festhalten und die ganze Fahrt über sehr entspannt in eine Unterhaltung vertieft sind. Ich finde, dass es erst bedenklich wird, wenn die sich eine Schwimmweste anziehen und schweigen, aber dieser Gedanke lebt auch nur auf der bewussten Ebene.
Ich habe oben gesagt, dass ich das Schiff nicht besonders groß finde, aber eine gewisse Santa Maria war nur vier Meter länger, und mit der hat Kolumbus den Atlantik überquert. Übrigens auch ohne Motor.
Nachdem wir auf Tory Island angelegt haben, beeilen sich viele, das Schiff zu verlassen, was ich etwas kurzsichtig finde. Wir müssen ja so oder so wieder zurück, und zwar mit diesem Schiff. Es fährt aber erst nochmal los, weitere Leute holen.
Die Insel ist baumlos und felsig. Es gibt nichts, was den Wind irgendwie stören könnte. Wir befinden uns im einzigen ernst zu nehmenden Ort, der West Town heißt und einen abgebrochenen Rundturm aufweist. Wir wenden uns nach Osten und wandern die einzige Straße entlang. Ab und zu stehen einige Häuser in der Gegend, mehr nicht. Im Osten gibt es noch eine Town, deren Name von allen schlauen Ratefüchsen bestimmt gefunden wird, aber die ist noch kleiner.
Am Ostende geht die flache Insel in einige Berge, unterbrochen von Stränden und scharfkantigen Buchten, über. Das sieht, wie so oft, von jedem Meter des Weges komplett anders und spannend aus, und es heißt Balors Fort. Das letzte Ende, eine lange, schmale, gezackte Wand, sieht aus wie aus einer besonders unglaubwürdigen Science-Fiction-Deko. Ich weiß nicht, ob man dort herumklettern kann – oder sollte.
Wir kehren um und wandern zurück, durch die Weststadt, wo das Schiff gerade nochmal ablegt, und bis zum westlichen Ende der Insel. Genauer: bis zur Mauer um das weitläufige Leuchtturm-Gelände, das sich dort befindet. Hier ist es eher flach und noch weniger besiedelt. Die Leute vom Schiff, die man am Ostende vereinzelt gesehen hat, fehlen hier gänzlich.
Vor dem Leuchtturm wenden wir uns nach Norden und folgen dem Weg, der etwas holpriger ist (vielleicht eine Römerstraße), in einem weiten Bogen zurück in den Ort. Im zentralen rustikalen Shop, der alles auf einmal ist und auch nur „Tory Shop“ heißt, kaufen wir Erfrischungen und halten noch für etwa eine Stunde die Gesichter in die Sonne. Neben uns steht ein Tau-Kreuz, das wie der gleichnamige griechische Buchstabe aussieht. Dann kommt das Schiff, und wir steigen ein gehen an Bord.
Die tieferstehende Sonne veranstaltet Schattenspiele mit den steilen Felsen der Insel. Vielleicht hat sich der Wind etwas verändert, oder es liegt am Kurs: das Schiff schaukelt weniger stark, und alle Füße bleiben trocken. Der Irlandfan traut sich sogar, aufzustehen und in das obere Stockwerk auf das Oberdeck zu steigen. Das Schiff schwimmt fährt diesmal an der Ostseite der drei Inseln Inishbofin, Inishdooey und Inisbeg vorbei, was uns etwas Windschatten gibt. Dafür schrammen wir ganz dicht an einem ähnlich aussehenden Schiff vorbei, das vor Inishbofin (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Insel vor Connemara) angebunden vor Anker liegt. Der Grund dafür bleibt unklar.
Von den Zeitraffer-Videos der beiden Überfahrten wird mir gleich nochmal schlecht.
Zum Abend gibt es Wraps (wrapping up the day) und… da war doch noch was.
„Wollen wir nochmal zum Crohy Head, den Sonnenuntergang anschauen?“
Alle Fotobegeisterten wollen. Sie schwingen sich in das Auto mit der bedenklichen Software und fahren los. Die Strecke ist zwar etwas weit, aber wir sind sicher, dass es sich lohnen wird.
Leider ist der konkrete Sonnenuntergang heute wieder nicht zu sehen, aber das tiefsitzende Licht und die einsetzende blaugoldene Stunde sind sehr schön, und auch hier haben wir wieder bei jedem Schritt und auch im Sitzen neue Perspektiven, so dass wir gar nicht mit dem Fotografieren hinterherkommen. Und nachdem wir schon lange unbewusst überzeugt sind, hier allein zu sein, erscheint plötzlich wie aus dem Nichts ein freundlicher, zusätzlicher Fotograf.
Als es schon so dunkel ist, dass man nur noch in Photoshop etwas sieht, geht noch der Mond auf.
Die Rückfahrt ist auch schön, nur dunkel. Hinter Gweedore ist die Straße, wie wir vor ein paar Tagen gesehen haben, mit nagelneuen Reflex-Teilen vernagelt worden, und das blendet schon fast.
Wir fahren in die Nacht.
„Mach mal die Musik lauter.“
How Much Is The Fish?
Mittwoch, 10.8.2022
Für heute ist, auf Grund des Wetters und des Ereignisreichtums der letzten Tage, ein fauler Strandtag geplant. Wir fahren zur Verlängerung des Tramore-Strandes, nämlich jenseits der Mündung des Flusses Ray.
Dort ist es sehr windig, sehr sandig und sehr sonnig. Ab und zu schiebt der Wind einen Ball vorbei, dem ein Kind chancenlos hinterhereilt. Ansonsten faulenzen wir. Gegenüber liegt Tory Island in seiner ganzen Felsenpracht und rechts der Kopf mit dem Horn.
Aber eigentlich müsste die Gruppe des Irlandfan heute auch noch packen. Wir wollen ja morgen nach Beara. Und als der Pegel des Flugsandes die Schwelle der Erträglichkeit überschreitet, treten wir zähneknirschend den Rückzug an, obwohl es erst früher Nachmittag ist.
Wir suchen wie immer alle Sachen im Haus zusammen, und es ist nicht hektisch. Zum Abendessen wollen wir nochmal zum S-Bahn-Wagen, weil es uns da am besten gefallen hat. Leider ist dort heute Ruhetag, so dass wir es in Dunfanaghy versuchen. Dort sitzen alle draußen und essen und trinken. Wir bestellen größere Mengen Burger und so in einem Restaurant mit Nimm-weg und essen das alles am Hafen auf.
Und quasi zum Abschluss der gemeinsamen Zeit kommt am Abend nochmal Haus-Musik, während der Mond hinter den Bergen aufgeht.
Frequent Traveller
Donnerstag, 11.8.2022
Heute fährt der Gruppenteil mit dem Irlandfan ganz in den Süden, nach Beara. Deshalb müssen wir etwas früher aufstehen. Das Ausblick nach dem Wetter verspricht viel.
Wir verabschieden uns ausführlich und machen uns auf den Weg. In Donegal, der Stadt, ermöglicht uns ein kleiner Stau den Blick auf Donegal Castle. Der erste echte Abstecher erfolgt nach Mullaghmore, wo wir einen Blick auf das mittelbekannte Schloss und Slieve League werfen (beides heute sehr klar zu sehen) und Mittag essen wollen. Heute ist hier ziemlich viel los. Es ist Urlaubszeit, und die Sonne brät uns ein bisschen.
Mit Glück finden wir einen Tisch, und das Essen ist lecker. Im Hafen kann man Aufrechtsteh-Paddeln lernen, aber mal ehrlich: wozu, zum Geier? Nach dem Essen biegen wir noch ganz kurz nach Creevykeel ab. Das ist eine alte Stein-Anlage in Steinwurfweite von der Nationalstraße.
Wie immer nehmen wir die Shannon-Fähre, weil es schöner ist. Heute gibt es allerdings keine Delfine zu sehen. Vielleicht ist es denen auch zu schwül. Wir erreichen die Bearaner per Messenger (auf deutsch „Bote“) und erhalten die Einkaufsliste. Erstmal tanken wir noch und essen Eis, und am frühen Abend erreichen wir Killarney und kaufen ein.
Und danach geht es nach Beara, und das ist so super, dass ich darüber eigentlich nichts mehr zu sagen brauche.
Jumping All Over The World
Freitag, 12.8.2022
Bereits zur Aufwachzeit ist sehr sonnig und sehr warm. So soll es auch die nächsten Tage bleiben, und das finden wir naja noch gerade so.
Nach dem Frühstück fahren wir zunächst nach Castletownbere. Wir wollen schauen, ob der Fotokalender einer lokalen Fotografin, dessen Versand Ende letzten Jahres gewisse Schwierigkeiten zu meistern hatte, vielleicht schon hier direkt verkäuflich sei.
Nein, noch nicht, aber: „Oh, you’re that guy!“
Ja, bin ich, und es war meine Schuld, verstärkt durch mehrere Missverständnisse bezüglich der Arbeitsweise der Deutschen Post.
In einem Haushaltswarengeschäft, das durch Raumkrümmung innen deutlich größer als außen ist, kaufen wir außerdem einen Toaster. Und jetzt geht es zum Strand.
Wir versuchen es zunächst in Allihies (nach dem dort fälligen Eis, versteht sich), aber dort ist es erstaunlich voll und das Wasser voller Geleefische. Also fahren wir einmal mehr zum Garnish Beach, wo es zwar auch relativ voll ist, aber doch ruhiger. Hier, so hörten wir, soll es Vorfälle mit Petermännchen gegeben haben. Das ist wahlweise der Schweriner Schlossgeist, ein Expresszug der DDR oder ein bösartiger Fisch. Sucht es euch aus. Wir staksen vorsichtig wie die Störche durchs Wasser. Wir finden keinen Geist, keinen Zug und keinen „Weeverfish“, dafür aber das Wasser ein bisschen zu kalt, aber es ist eine angenehme Abwechslung.
Im Anschluss sehen wir nach der Seilbahn, die nach Dursey Island führt. Dorthin wollen wir zwar nicht und schon gar nicht heute, aber wir haben in den letzten Monaten einiges darüber gelesen, was wir widersprüchlich fanden. Es gebe Sanierungsarbeiten und darum keine Transportmöglichkeiten, aber es gibt Schiffe und Boote. Die Landwirte auf der Insel beschweren sich, dass es Verzögerungen gibt, aber Tiere werden schon seit längerem nicht mehr mit der Seilbahn transportiert.
Wir fahren hin, und im Grunde stimmt der Tenor: die Seilbahn ist zeitweilig außer Betrieb. „Außer Betrieb“ – echt jetzt? Die Seile, die Masten und anscheinend auch deren Fundamente sind weg. „Vollständig abgerissen“ passt besser. Und obwohl wir keinen Arbeiter sehen (Freitag ab eins…) sieht es nach einer aktiven Baustelle aus.
Wir fahren über Eyeries nach Hause und essen Nudeln. Nach Einbruch der Dunkelheit gibt es theoretisch die Chance, einfallende Perseiden zu beobachten. Leider ist der Mond auch schon da und überstrahlt die Nacht, so dass selbst die Langzeitkamera nichts sieht. Drüben auf Beara breitet sich eine Rauchwolke sehr malerisch aus. Wir wissen nicht, warum. Aber wir hoffen, dass nichts und niemand zu Schaden kommt und dass kein Trottel seinen (Garten-)Müll verbrennt.
Wir wollen am Sonntag hier aufbrechen und irgendwo zwischen hier und Dublin übernachten. Das dafür nötige Zimmer suchen und finden wir in Laragh im County Wicklow, in der Nähe von Glendalough, und das ist auch super.
Coldwater Canyon
Samstag, 13.8.2022
Es ist immernoch warm. Für heute wollen wir einem Wettschwimmen im Glenbeg Lough zuschauen, die Füße ins Wasser halten und vielleicht etwas Kajak fahren. Auch wird eine Art Picknick geplant.
Hier gibt es eine Differenz zwischen den Iren und den Deutschen. Letztere planen das alles, machen Salat und packen und dosieren. Iren pflegen einfach alles, was im Kühlschrank picknickgeeignet erscheint, in die Tasche zu räumen, denn „ach, das könnten wir ja auch noch essen“.
Die Einheimischen laden ihre Kajaks auf das Auto, und unter Warngeblinke fahren wir über Ardgroom zum Glenbeg-See. Dort sind schon eine Menge Leute zugange, aber wie so oft ohne Tagesordnung oder auch nur Hektik. Die Schwimmer sollen in den See, um die Biegung, irgendwo an einer von hier nicht sichtbaren Stelle um eine Boje herum und am anderen Seeufer wieder zurück. Zur Sicherheit werden sie von den Kajaks begleitet, und das ganze dient einem guten Zweck, der mir entfallen ist.
Die besten Plätze sind bereits mit Wohnmobilen vollgestellt. Wir setzen uns ans Ufer und stellen die Getränke in den See. Der Sonnenschirm ist auf dem steinigen Boden leider unbrauchbar. Ein Mann hält eine informative und lustige Rede, und dann schwimmen die Teilnehmer los. Der See ist nicht nur ein richtiger Bergsee, sondern auch so kalt, weshalb die meisten sich in Neopren gewandet haben. Die Kajaks legen auch ab.
Wir verdösen die Zeit, und nach und nach kommen die Schwimmer wieder an. Wir leihen uns Kajaks und paddeln noch ein wenig auf dem See herum, und das war eigentlich der Tag.
Rebel Yell
Sonntag, 14.8.2022
Wir packen und wiegen unsere sieben Sachen, weil wir sonst vor dem morgigen Check-in Dublin keine Waage mehr sehen werden. Aber eigentlich ist das für die Katze, weil wir noch Mitbringsel und etwas Bier kaufen wollen.
Wir verabschieden uns gründlich und fahren über Castletownbere in Richtung Glengarriff. Kurz vor Adrigole halten wir erfolgreich nach Robben Ausschau. Die dazu eingeschaltete Warnblinkanlage veranlasst offenbar ein anderes Auto dazu, anzuhalten und uns zu fragen, ob wir Hilfe benötigen. Nein, wir sind Touristen, aber, heh, kommt ihr mal nach Deutschland…
Auf zügigen Schleichwegen fahren wir nach Cork, genauer nach Cobh. Dort waren wir noch nicht, wir wollen es uns anschauen und Mittag essen.
Leider ist Cobh (nur heute?) sehr geschäftig und vor allem laut. Ein 300m langes Kreuzfahrtschiff hat angelegt, am Hafen dröhnt Tanzmusik aus einem Auto-Scooter, und dort, wo man das nicht hört, spielen irgendwelche bunten Kapellen. Einen Zusammenhang können wir nicht belegen, aber auch nicht ausschließen, aber es nervt so oder so. Trotz der insgesamt tollen Lage und der bunten Fotogenität sind einige Häuser ziemlich verfallen. Etwas Angenehmes zu essen finden wir auch nicht. Wir betrachten die bekannte fotogene Kathedrale des Heiligen Colman, steigen die steilen Gassen hinauf und hinab und dann wieder ins Auto.
Wir sollten Cobh irgendwann nochmal besuchen, wenn es ihm besser geht.
An einer Art Autohof, an dessen Lage ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann, essen wir etwas, und dessen Qualität ist offensichtlich der Grund dafür, dass ich mich an die Lage nicht mehr erinnern kann. Es sind irgendwelche unergründlichen Fastfood-Objekte mit Fantasienamen, und wenn man sich unsicher für eines davon entschieden hat, soll man dann gleich sagen, wie genau und womit und in welchen Ausmaßen man es möchte, aber bitte zackig, hinter uns stehen ja besser geschulte Kunden. Aber es füllt den Magen, und die Cola schmeckt gut.
Kurz vor Newbridge verlassen wir die Autobahn und fahren über kleine Straßen und das Wicklow Gap nach Glendalough bzw. Laragh. Das Haus, in dem wir ein Zimmer gemietet haben, ist nahezu unauffindbar und darüber hinaus nicht ausgeschildert, aber Online-Karten sind ja sehr hilfreich, zumindest wären sie es, wenn man Mobilfunkempfang hätte. Als Deutscher hat man dagegen eine dickfellige Geduld entwickelt, oder man ist CSU-Anhänger und sieht das Problem nicht mal. Durch Überlagern der tröpfelnd doch noch geladenen Karte mit der Realität finden wir es am Ende ohne große Verirrungen. Mir scheint, als wäre das Haus mal ein B&B gewesen, aber durch Pandemie oder andere Änderungen ist es allein nicht mehr wirtschaftlich. Jedenfalls haben wir unser kleines, aber sehr gemütliches und gut ausgestattetes Zimmer, und weil wir die einzigen Gäste sind, können wir das vollständige Esszimmer nach Gusto zum Frühstücken nutzen.
Aber jetzt ist Abendbrotzeit, und wir kompensieren das Mittagessen durch einen Besuch in einem sehr guten Restaurant in Laragh. Kurze Nieselschauer stören nicht. Und weil es danach noch nicht ganz dunkel ist, schauen wir schon mal, wie das mit der allgemeinen Zufahrt und dem Parken beim Glendalough-Besucherzentrum ist, wegen morgen.
Leave In Silence
Montag, 15.8.2022
In der Nacht findet das sehnlich erwartete Gewitter statt. Es donnert und grollt ein bisschen durch die düsteren Berge, aber so richtig erfrischend ist es nicht. Es fällt auch nur wenig Regen.
Trotzdem tropft die Gegend am Morgen noch ein wenig. Wir essen alle übriggebliebenen Nahrungsmittel auf, dazu gibt es Tee und Saft, und dann fahren wir nach Glendalough. Kurz nach uns kommen auch die ersten Reisebusse. Deren Insassen füllen bald die Wege, und das stellt erhöhte Anforderungen an den zuständigen Hobbyfotograf, wenn er auf seinen mystischen Bildern des Friedhofs zum Beispiel keine pinkfarbenen Jogginghosen sehen möchte.
Wir sind unter anderem hier, weil wir als Auftrag ein bestimmtes Grab einer 105jährigen Dame suchen wollen. Aber natürlich bewundern wir auch die uralten Bauten, die kunstvollen Grabsteine und die malerische Lage.
Es wird immer voller, darum ziehen wir uns zurück und fahren auf verschlungenen Wegen durch die Wicklows in Richtung Dublin. Wir kaufen noch das Souvebier, das man in Deutschland nicht bekommt. Und natürlich halten wir bei schönen Gelegenheiten an, zum Beispiel oberhalb des Guinness-Sees, der eigentlich Lough Tay heißt, aber der Farbe ist es ja egal, ob sie vom Tee oder vom Bier herrührt. Der See befindet sich eigentlich in Privatbesitz, er ist aber trotzdem aus den sozialen fotografischen Netzwerken und einer Wikinger-Serie sehr bekannt.
Und dann stehen wir auf dem letzten Parkplatz vor Dublin und blicken über die Stadt. Es sieht nach Regen aus. Wir rollen hinunter und auf die Stadtautobahn und suchen etwas zu essen, was kein Flughafenessen ist. Am Ende landen wir im strömenden Regen bei einem amerikanischen Hühnerzentrum.
Der Autostrudel rund um den Flughafen sieht noch genauso aus, und wir müssen darin die Tankstelle finden. Und danach deren Einfahrt. Die irischen Freunde hatten uns erzählt, dass seit kurzem nicht mehr das Militär für die Chaosaufsicht zuständig ist, und ließen die Frage offen, ob das nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist. Mein Eindruck von militärisch geführter Infrastruktur in Irland ist bisher eigentlich sehr positiv. Wir hatten jedenfalls noch nie Probleme mit der Arbeit oder den Truppen von Major Roadworks und General Waste.
Letztlich geben wir das Auto etwas verspätet ab, was kein Problem darstellt, sondern nur die Rechnung etwas erhöht. Die Differenz ist aber kein ganzer Tag Miete, sondern etwas niedriger, also nur eine Einfach-weil-wir-es-können-Gebühr.
Wir checken elektronisch ein, sitzen dann aber noch einige Zeit vor dem Terminal herum. Vor dem Einsteigen kaufen wir noch ein paar Kleinigkeiten (Vorteil: niemand wiegt jetzt noch das Gepäck). Ich versuche, Beamish zu bekommen.
„Sorry, what?“
„Beamish.“
„I don’t know what you mean.“
„Beamish, the beer. You know, the drink, like in all those cans you have here?“
„Are you talking about a currency?“
„No. I’m talking about beer.“
Ein anderer Kollege kennt die Sorte, aber die gibt es hier nicht.
Wir steigen ins Flugzeug. Uns folgt eine Gruppe junger deutscher Männer mit einer Ukulele, und sie haben keine Skrupel, sie zu benutzen. Die waren bestimmt nicht wegen der Landschaft in Irland, und vielleicht fliegen sie ja in die Welt von Heiko zurück. Unter anderem singen sie ein Lied, das in diesem Sommer in Deutschland einige Diskussionen ausgelöst hat. Es verherrlicht die Prostitution und wurde gerade deswegen (mit einem schwindelerregenden geistigen Dreisprung) von Leuten entschlossen verteidigt, die sonst Dinge wie Ehe und Familie hochhalten. Natürlich nur, wenn es ihnen in den Kram passt, aber das wussten wir ja vorher.
Dann benutzen wir zum zweiten Mal den Berliner Flughafen. Wir müssen sehr lange auf das Gepäck warten. Dann suchen wir ein Taxi, aber da gibt es eine Hackordnung, die für Leute, die nur nach Hause wollen, nicht unbedingt klar erkennbar ist. Ein vermeintlich freies Taxi (Schild leuchtet) ist gar nicht frei, weil noch Leute darin sitzen. Das nächste freie Taxi (Schild leuchtet) ist nicht frei, weil ja davor ein Taxi steht, dessen Schild leuchtet und das demzufolge frei sein muss. Dem zweiten Taxifahrer ist es wichtiger, den ersten darauf hinzuweisen, dass sein Schild noch leuchtet, als uns einsteigen zu lassen.
Aber er fährt uns dann doch nach Hause, in dieser dunklen, warmen und schwülen Stadt. Er überschreitet die zulässige Geschwindigkeit oft und deutlich, aber das ist uns sehr herzlich egal.