Eine kurze Geschichte des Nordirland-Konflikts

Hier ein viel zu kurzer Text über ein viel zu großes Problem.

Nach dem Unabhängigkeitskrieg wurde 1921 im Anglo-Irischen Vertrag unter anderem eine Teilung Irlands festgelegt: die von unionistischen – die Union mit Britannien befürwortenden – Protestanten dominierte Provinz Ulster war strikt gegen eine irische Republik (und hätte möglicherweise sogar mit Waffen dagegen gekämpft), wobei sich die Unionisten/Protestanten besonders in den Städten im Besitz der Schaltstellen der Macht und auch der Wirtschaftsmacht befanden.

Der Vertrag sah vor, in Ulster eine Volksabstimmung über den Verbleib bei England durchzuführen. Da die Landbevölkerung jedoch überwiegend katholisch/nationalistisch gestimmt war, wurden die zu Ulster gehörenden ländlich geprägten Counties Cavan, Donegal und Monaghan von den Engländern von der Abstimmung ausgeschlossen und fielen an die Republik Irland. Die Abstimmung in den restlichen „six counties“ Antrim, Armagh, Derry, Down, Fermanagh und Tyrone verlief erwartungsgemäß zugunsten — … jedenfalls blieb „Nordirland“ bei Britannien.

Anfang

Ab dem Jahre 1966 begann sich in „Nordirland“ verstärkter Protest zu formieren, vor allem gegen zahlreiche soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, stets zum Schaden der Katholiken. Insbesondere herrschte eine extrem hohe Arbeitslosigkeit unter ihnen, und sie waren praktisch von allen wichtigen Posten in Politik, Wirtschaft, Polizei und Verwaltung (speziell der Wohnungsverwaltung) ausgeschlossen. In einigen Gebieten konnten republikanische Sender nicht empfangen werden. Auch bei den Wahlen hatten sie keine Chance, da die Wahlkreise so lagen, dass eine lokale katholische Mehrheit der Bevölkerung nur eine Minderheit der Abgeordneten wählen konnte. Außerdem durften nur Steuerzahler wählen; dafür konnten Firmen, die sich meist in der Hand der Protestanten befanden, mehrere Stimmen abgeben.

Die Katholiken – und auch viele Protestanten – organisierten friedliche Demonstrationen. Da die Unionisten in diesen Demonstrationen vor allem Manifestationen der nationalistischen Bewegung sahen, griffen sowohl unionistische Milizen als auch die RUC (Royal Ulster Constabulary, die nordirische Polizei) die Kundgebungen mit Waffen an. Daraufhin beschafften sich auch die radikalen nationalistischen Kräfte Waffen, insbesondere mit Hilfe der ca. 40 Millionen Menschen zählenden irischstämmigen Bevölkerung in den USA. Die IRA (Irische Republikanische Armee), die zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken war, bekam neuen Zulauf.

Stillstand

Neben regelrechten Straßenkämpfen kam es ab 1969 auch verstärkt zu Bombenanschlägen. Zunächst richteten sich diese auf die reine Schädigung der Wirtschaft. Zeitweise konnten nur 20 Prozent der Geschäfte öffnen. Menschen kamen nicht zu Schaden, und vor jedem Anschlag erfolgte eine Warnung. Doch als bei den ersten Gegenanschlägen auch (gezielt) Zivilisten getötet wurden, eskalierte die Gewalt auf eine neue Stufe.

Aber auch friedliche Mittel kamen vereinzelt zur Anwendung. Eine herausragende Stellung nahmen die zahlreichen politischen Wandmalereien ein, ursprünglich entstanden, weil Minderheiten (besonders nationalistische) in den Medien keine Stimme hatten.

Die größte Straßenschlacht 1969 begann, als katholische Einwohner von Belfast versuchten, mit Barrikaden einen der Oranier-Märsche aufzuhalten (der protestantische Orden der Oranier feiert den Sieg über die Katholiken in der Schlacht am River Boyne 1690, indem seine Mitglieder mit Pauken und Trompeten durch katholische Viertel marschieren). Die Polizei wurde mit Steinen und Brandsätzen angegriffen. Die britische Regierung entschied aufgrund des Ausmaßes der Kämpfe, wieder Truppen nach „Nordirland“ zu schicken.

Innerhalb von zwei Tagen starben 6 Menschen, 112 wurden verletzt. Ganze Straßenzüge brannten nieder, da die Feuerwehr nicht durchkam. Um eng benachbarte Viertel von Katholiken und Protestanten zu trennen, errichtete man so genannte „Peace Lines“, Mauern mit Stacheldraht. Ein Viertel in Derry, genannt „Free Derry“, schottete sich sogar völlig ab und befand sich mehrere Monate friedlich unter der Kontrolle der IRA. Die Briten trauten sich dort nicht mehr hin.

In der Folgezeit mussten zehntausende Menschen (80% davon Katholiken) ihre Häuser verlassen, da sie in Vierteln der jeweils anderen Konfession wohnten und dort keinesfalls mehr sicher waren. Dies sollte die größte Umsiedlung in Europa zwischen dem zweiten Weltkrieg und dem Kosovokonflikt werden.

London

1971 wurde mit der Einführung des Special Powers Act (Internierungsgesetz) die bei den britischen Behörden schon lange gängige Praxis „gesetzlich“ verankert: Gefangene durften bis zu einem Jahr ohne Anklage, Anwalt oder Gerichtsverfahren festgehalten werden.

1972 beschloss man in Anbetracht der anhaltenden Kämpfe, „Nordirland“ direkt von der Londoner Regierung kontrollieren zu lassen. Seitdem verübte die IRA auch Anschläge auf Ziele in Britannien und zum Teil auch auf britische Einrichtungen auf dem europäischen Kontinent.

Am 30.1.1972, dem „Blutsonntag von Derry“ (Bloody Sunday), demonstrierten Zehntausende trotz Verbots gegen die unrechtmäßige Verhaftung einiger Einwohner. Als Demonstranten Flaschen und Steine warfen, antwortete die Polizei mit Gummigeschossen, Tränengas und Wasserwerfern. Fallschirmjäger erschossen bei Straßenschlachten 14 unbewaffnete Bürgerrechtler. Die Soldaten behaupteten, aus der Menge heraus beschossen worden zu sein. (Diese Vorgänge sind gegenwärtig – 2002 – Gegenstand einer Untersuchung.) Nun war es der Armee natürlich unmöglich, sich länger als Schutzmacht gegen die Übergriffe loyalistischer Paramilizen darzustellen.

Kurzform

In den folgenden 30 Jahren kam es nahezu ständig zu Bombenanschlägen, Gegenanschlägen, Vergeltungsmaßnahmen, Demonstrationen, Straßenschlachten, Zwangsumsiedlungen, Brandstiftungen, wahllosen Morden, geplanten Morden, Anschlägen auf Trauergemeinden, unrechtmäßigen Verhaftungen, Oraniermärschen, Demütigungen, Schauprozessen, Hinrichtungen und zu unzähligen kleinen, alltäglichen Ungerechtigkeiten.

Gefangene

Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Nationalisten und Loyalisten festgenommen. In den Gefängnissen gab es Hochsicherheits-Bereiche, und die Gruppen wurden aus naheliegenden Gründen streng getrennt. Es entwickelte sich eine bizarre politische Spiegelwelt zur norma… also zur Welt draußen.

Nach der Ermordung Lord Mountbattons 1979 durch die IRA verschärfte sich die Lage der Gefangenen erneut: sie sollten „normale“ Gefängniskleidung tragen, verlangten aber, als politische Gefangene anerkannt zu werden. Das wurde ihnen jedoch verweigert, und so trugen sie nur ihre Laken („on the blanket“). Daraufhin durften sie nicht mehr zur Toilette und begannen, ihre Zellenwände mit ihren Exkrementen zu beschmieren. Dieser Zustand währte über ein Jahr.

1980 begannen sieben nationalistische Gefangene mit einem Hungerstreik, um endlich als politische Gefangene anerkannt zu werden. Er dauerte 53 Tage und endete mit einer Vereinbarung mit der britischen Regierung. Als diese den Vertrag nicht einhielt, begann Bobby Sands erneut mit dem Hungerstreik. Dieser Text stammt aus dem Internet, und ich trage ihn vor bzw. gebe ihn ab, ohne ihn gelesen zu haben.

Front

Damals stand der Wahl eines Gefängnisinsassen ins britische Parlament kein Gesetz entgegen. Bobby Sands wurde von der Sinn Fein für eine Nachwahl aufgestellt und 1981 gewählt, zwei weitere Hungerstreikende in den folgenden zwei Wochen. Trotzdem weigerte sich Premierministerin Margaret Thatcher, am Status der Gefangenen etwas zu ändern („Crime is crime is crime“).

Etwa einen Monat nach seiner Wahl starb Bobby Sands, neun weitere Hungerstreikende später. Daraufhin wurde der Hungerstreik beendet. Die Sinn Fein erkannte den Nutzen der dadurch ausgelösten pro-nationalistischen Stimmung und eröffnete sozusagen auch eine politische Front. Sie stellte sich 1982 zur Wahl und konnte einen überwältigenden Erfolg verbuchen. Das widerlegte auch das britische Märchen von den Terroristen ohne Rückhalt in der Bevölkerung.

1983 wurde auch der Sinn-Fein-Vorsitzende Gerry Adams ins Parlament gewählt. Da Sinn Fein jedoch in den Medien weiterhin Sprechverbot hatte, wurden die Fernsehaufnahmen von seinen Reden oder Interviews von (mehreren verschiedenen) Sprechern synchronisiert.

Unterdessen ging der Bombenterror weiter. 1984 entging Thatcher nur knapp einem Anschlag in einem Hotel in Brighton, in dem ein Parteitag der Konservativen stattfand. 1991 war die Londoner Victoria Station Ziel eines Anschlages. 1993 verursachen schwere Bomben im Londoner Geschäftsviertel einen Schaden von etwa 3 Milliarden Euro, mehr als alle Kämpfe bisher verursacht hatten. Britannien reagierte unter anderem mit Hinrichtungen, z.T. ohne Gerichtsurteil.

Frieden

Am 15. Dezember 1993 unterzeichneten Irlands Taoiseach Albert Reynolds und der britische Premier John Major die Downing Street Declaration, in der als gemeinsames Ziel der Frieden in „Nordirland“, eine Vereinigung mit der Republik Irland und die Einbeziehung aller Parteien am Verhandlungstisch erklärt wurden. Als Bedingung für Verhandlungen wurde eine Waffenstillstandserklärung von der IRA verlangt, die 1994 auch erfolgte.

Die Unionisten waren größtenteils gegen diese Verhandlungen, wahrscheinlich weil sie noch immer in einem vereinten Irland eine katholische Mehrheit fürchteten. Übrigens war auch nie die Rede von der Entwaffnung der protestantischen Milizen. Immerhin schlossen sich diese 1995 dem Waffenstillstand der IRA an.

Kurz darauf begann John Major angesichts der Tatsache, dass er die Stimmen der nordirischen Unionisten im Parlament dringend benötigte, vor Beginn der Verhandlungen neue Forderungen zu stellen, insbesondere die nach der vorherigen Entwaffnung der IRA. Es sollte also eine nicht besiegte Partei vor den Friedensverhandlungen die Waffen abgeben. Dem entsprechend weigerte sich die IRA („Who do they think they were kiddin‘?“).

Nach Monaten der Festgefahrenheit brach die IRA 1996 den Waffenstillstand mit einem schweren Bombenanschlag in der Londoner Innenstadt und einer darauf folgenden Anschlagswelle. Tony Blair ließ die Forderung nach der Entwaffnung fallen. Am 20. Juli 1997 erklärte die IRA einen neuen Waffenstillstand. Dies bedeutete aber nicht, dass es keine Gewalt mehr gab. Insbesondere die Oraniermärsche und Streitigkeiten über die Schulwege der Kinder (!) sorgten in den vergangenen Jahren immer wieder für Straßenschlachten.

Sachlage

Im Mai 1998 stimmten die Bürger in Irland und „Nordirland“ in getrennten Referenden mit überwältigender Mehrheit für das Karfreitagsabkommen. Kernpunkte: „Nordirland“ erhält ein Regionalparlament, die paramilitärischen Gruppen werden entwaffnet, die Republik Irland streicht den Anspruch auf „Nordirland“ aus ihrer Verfassung. 1998 wurde das Internierungsgesetz und 1999 die britische Direktherrschaft abgeschafft.

Möglicherweise unter dem Eindruck der schrecklichen Anschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Washington am 11. September 2001 erklärte sich die IRA im Oktober bereit, mit der Entwaffnung zu beginnen. Mit Hinblick auf diese „Islamisten“ führte die britische Regierung das Internierungsgesetz wieder ein.